Ein Buch, das seine Leser in den Wahnsinn treibt und amoralisch, aber auch schöner als alles andere ist – das ist das verbindende Element der sehr verschiedenen phantastischen Geschichten in Robert W. Chambers‘ „The King in Yellow“.
Vier Geschichten des Wahnsinns und Verlusts
„The Repairer of Reputations“ handelt von einem geisteskranken Mann, der in den albtraumhaft verzerrten USA die Weltherrschaft an sich reißen will. Möglicherweise hat die Lektüre von „Der König in Gelb“ etwas damit zu tun, aber ob dieses Buch den Mann wahnsinnig gemacht hat oder er vorher schon geistige Probleme hatte, wird offengelassen. Die dystopische Welt ist durch die Perspektive des kranken Protagonisten nonchalant und ohne jegliches Pathos beschrieben, und kaum einer ihrer Bewohner scheint sich an ihren grausamen und menschenverachtenden Praktiken zu stören. Gerade dadurch wirkt die Dystopie noch viel stärker auf den Leser, denn sie wirkt alternativlos und deshalb erdrückend.
„The Mask“ geht in eine vollkommen andere Richtung. Diese Geschichte handelt von einem Bildhauer, der einen Weg gefunden hat, lebende Materie in Marmor zu verwandeln, und von einer unglücklichen Liebe. Der Schluss ist sanft und versöhnlich und erinnert an Lord Dunsanys wunderbare Geschichten. In „The Mask“ spielt der „König in Gelb“ nur eine Nebenrolle, was den eigenartigen Zauber dieses Buches und seine Wirkung auf den Leser von Chambers noch verstärkt – wohin man geht, findet sich in den Bibliotheken von Künstlern dieses bösartige Werk, das nur darauf wartet, sein fiebriges Gift zu versprühen.
„In the Court of the Dragon“ handelt von einem Mann, der nach der Lektüre des Königs in Gelb seinen Glauben verloren hat und nach einem langen Albtraum (vermutlich) vom König in Gelb geholt wird. Was genau das Ende des Protagonisten bringt, erfährt man nicht, aber sicher ist, dass es sich nicht um einen weiteren Albtraum handelt. Es scheint seine Vergangenheit zu sein, die ihn einholt. „In the Court of the Dragon“ ist eine Geschichte, in der Schrecken aus Andeutungen entstehen: auf die Spukgestalten des Aberglaubens, die Grausamkeiten mittelalterlicher Folterkammern und die Schuld am Verderben eines Freundes.
„The Yellow Sign“ schließlich, das sogar von H. P. Lovecraft gelobt wurde, begleitet einen Maler und sein Modell, die sich ineinander verlieben und von Albträumen heimgesucht werden, die ihrer beider Tod ankündigen, seit sie mit dem Gelben Zeichen in Berührung kamen – mutmaßlich dem Siegel des Königs in Gelb. Ein seit Monaten toter Mann ist der Vollstrecker eines unausgesprochenen Urteils.
Ein Buch, böser als alles andere
So verschieden diese vier Geschichten auch sind, eint sie alle der Umstand, dass das erfundene Buch „The King in Yellow“ in ihnen auftaucht. Die Lektüre bringt Furchtbares mit sich, Wahnsinn und Tod. Wer schrieb dieses Buch? Der Leser von Chambers‘ Geschichten erfährt darüber und auch über den Inhalt des erfundenen Buches nicht viel. Gerade das macht aber auch seinen Reiz aus – immer wieder stößt der Leser auf Spuren, die das verbotene Buch in der Welt und im Verstand der Menschen hinterlassen hat, aber nie bekommt er es zu fassen. Zwei Mal wird aus ihm zitiert, aber diese Fragmente befeuern die Neugier eher, als sie zu stillen. Was an diesem Werk treibt die Menschen in den Wahnsinn und wer konnte ein solches Buch schreiben? Mutmaßungen und Gerüchte kursieren, aber nichts ist definitiv. Die Welt, in der ein Buch wie das erfundene „Der König in Gelb“ existieren kann, ist eine Welt ohne Gewissheiten – und ohne Sicherheit.
Nachfolger und Inspirationen
Die wenigen Geschichten aus „The King in Yellow“ inspirierten gerade in den letzten Jahren zahlreiche Autoren zu ihren eigenen Interpretationen. Zuvorderst ist da die erste Staffel von „True Detective“ zu nennen, die den König in Gelb mit äußerst düsterer Philosophie verbindet und diese explosive Mischung in die Bayous Louisianas bringt.
Die noch ziemlich neue, exzellente Anthologie „Under Twin Suns. Alternate Histories of the Yellow Sign“ versammelt Geschichten, die mitunter sehr frei mit der Mythologie um den König in Gelb verfahren, es aber trotzdem schaffen, ein ‚Chambers-Gefühl‘ im Leser auszulösen. Wer sich nach der Lektüre von „The King in Yellow“ nach mehr Lesestoff in derselben Richtung sehnt, könnte sicherlich schlechtere Entscheidungen treffen, als „Under Twin Suns“ zu lesen.
Dass der König in Gelb auch im Pen-and-Paper-Rollenspiel seine Spuren hinterlassen hat, dürfte nicht überraschen. Abenteuer für das Spiel „Call of Cthulhu“ verwenden den König in Gelb als Bedrohung für die Charaktere und ihre Welt, und vor einigen Jahren publizierte der Verlag Pelgrane Press ein ganzes „King in Yellow„-Rollenspiel, das die Spieler Abenteuer in der Welt von Chambers‘ Geschichten erleben lässt.
Ein bleibendes Vermächtnis
Chambers‘ Buch ist bald 130 Jahre alt, und trotzdem fordert es seine Leser noch heute heraus. Die Geschichten nutzen sich nicht ab und können immer wieder neu gelesen und neu entdeckt werden, gerade, weil sie sich so stark auf Andeutungen verlassen, dass der Leser viele Leerstellen selber auffüllen muss – und damit immer auch etwas von sich in dieses Buch von einem schrecklichen Buch hineingibt.