Edgar Allan Poe und seine Geschichten faszinieren nach wie vor. Zu den zahlreichen Verfilmungen seiner Werke und seines Lebens gesellt sich nun mit der Netflix-Produktion The Fall of the House of Usher von Mike Flanagan eine Serie, die einen cleveren Poe-Remix abliefert.
Arthur Rackham: The Fall of the House of Usher. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Poe%27s_Tales_of_Mystery-Rackham-160.jpg
Roderick Usher ist in Flanagans Interpretation der Geschichte der alternde Patriarch der Usher-Familie, in deren Besitz sich das Pharma-Unternehmen Fortunato Industries befindet – ein milliardenschweres Unternehmen, das sein Vermögen mit einem stark suchterzeugenden Opiod gemacht hat. Staatsanwalt Charles Auguste Dupin versucht seit Langem, Fortunato Industries Fehlverhalten nachzuweisen, von gefälschten Patientenakten für Medikamentenversuche bis hin zu dem fahrlässigen Vertrieb des süchtig machenden Schmerzmittels trotz jährlich zigtausender Todesopfer.
In Edgar Allan Poes schlicht genial zu nennender Erzählung The Fall of the House of Usher besucht ein namenloser Erzähler den verzweifelten Roderick Usher und dessen Schwester Madeline auf ihrem Landsitz, um Roderick auf andere Gedanken zu bringen. In Flanagans Interpretation besucht Dupin den desillusionierten, dem Tod ins Auge blickenden Usher in dessen verfallenem Elternhaus. Usher will ein Geständnis ablegen: Alle seiner Kinder sind in den vergangenen Tagen gestorben, und er ist überzeugt davon, schuld an ihrem Tod zu sein. Ob das, was er sagt, wahr ist oder eine Folge seiner vaskulären Demenz, bleibt lange Zeit offen.
Mehr als diese Prämisse sei an dieser Stelle nicht verraten, schon deshalb, weil ein Teil des Serienvergnügens daher rührt, dass der geneigte Zuschauer zahlreiche Anspielungen auf Poes Werke entdecken kann. The Fall of the House of Usher ist nämlich keine einfache Verfilmung von Poes Erzählung, sondern ein Remix, in dem Arthur Gordon Pym (charismatisch: Mark Hamill) der Anwalt der Familie Usher ist, das Unternehmen der Tochter Tamerlane ausgerechnet Goldbug heißt und die Mutter der Usher-Geschwister von diesen, so viel sei dann doch verraten, lebendig begraben wird.
Der Tod jedes Usher-Sprosses steht unter dem Zeichen jeweils einer Poe-Geschichte; dabei geht es, heutigen Sehgewohnheiten angemessen, ziemlich blutig zu. Wo der Schrecken bei Poe hauptsächlich psychologisch war, halten sich bei Flanagan Psychologie und Grand Guignol die Waage. Das funktioniert überraschend gut, und es überrascht auch, wie viel Poe über (mitunter etwas gewollt wirkendes) Namedropping hinaus in der Serie enthalten ist.
Die Parallelführung der familiären Schrecken der Ushers mit der Opioid-Epidemie in den USA ist bemerkenswert. Der Verfall der Familie und deren Dynamiken führen vor Augen, dass hinter den Totenzahlen Menschen stehen, die unglaubliches Leid erlebten – zugunsten des Profits.
The Fall of the House of Usher ist eine unbedingt sehenswerte Serie, deren einziges Manko ist, dass mancher Poe für sich neu entdecken und enttäuscht sein dürfte, dass dessen Texte mit so viel weniger Blut auskommen – vielleicht aber wird auch die Faszination des Wahnsinns in Poes Geschichten von neuen Lesern aufgespürt.